Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-WestfalenDie Präsidentin/die Präsidenten der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte

IT-Zentralisierung gefährdet Unabhängigkeit der Dritten Gewalt Appell an Justizminister und Ministerpräsidentin

Die Unterzeichner dieser Resolution lehnen die im Justizministerium NRW trotz durchgreifender verfassungsrechtlicher Bedenken weiterverfolgte Zentralisierung der IT-Organisation und des IT-Personals aller nordrhein-westfälischen Gerichte bei dem Oberlandesgericht Hamm entschieden ab.

Die Zentralisierung führt dazu, dass alle elektronischen Daten und digitalen Dokumente, die von den Bürgerinnen und Bürgern, Anwälten und Behörden an die Gerichte übermittelt oder von den Gerichten in den bei ihnen geführten Verfahren erhoben und erstellt werden, nicht mehr wie bisher allein der Verantwortung der angerufenen Gerichte unterliegen. Sämtliche Daten und Dokumente – auch personenbezogene und besonders sensible – sollen künftig vielmehr auf zentralen Servern gespeichert werden, die der Einflussnahme und der Letztentscheidungsbefugnis des Justizministeriums unterstellt sind, einer Behörde, die – insbesondere in verwaltungsgerichtlichen Verfahren – nicht selten selbst Verfahrensbeteiligte ist. Damit unterfallen die Daten dem Einflussbereich der Exekutive, die den Bürgerinnen und Bürgern vielfach als Prozessgegner gegenübertritt.

Die hierdurch bewirkte Aufhebung der Datenhoheit und Einschränkung der organisatorischen Selbstständigkeit der Gerichte beseitigt einen wesentlichen Bestandteil des gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG allein von den Gerichten zu verantwortenden, unabhängigen Rechtsprechungsbereichs. Daran ändert auch die geplante Anbindung der IT-Organisation an das OLG Hamm nichts, denn die Aufgabenerfüllung bleibt auch in diesem Gericht eine zentralisierte Verwaltungstätigkeit im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums. Die üblichen Vorkehrungen zur Verhinderung eines unerlaubten Datenzugriffs greifen insoweit zu kurz, da sie am Verlust der Datenhoheit nichts ändern, die Gewährleistung des Schutzes der dem jeweils zuständigen Gericht anvertrauten Daten also nicht mehr in dessen Verantwortungsbereich liegt. Abgesehen davon untergräbt schon der bloße Anschein einer Abhängigkeit der Gerichte von der Verwaltung, die von den Gerichten ja gerade kontrolliert werden soll, das Vertrauen in eine unabhängige Rechtsprechung (Art. 19 Abs. 4, 92, 97 GG).

Die Unterzeichner dieser Resolution appellieren deshalb nachdrücklich an Herrn Justizminister Thomas Kutschaty, die in seinem Hause verfolgten IT-Zentralisierungspläne aufzugeben und die verfassungsrechtlich garantierte Datenhoheit der Gerichte zu sichern. In Anbetracht der Tatsache, dass von den Zentralisierungsplänen auch der Verfassungsgerichtshof NRW betroffen ist, richtet sich dieser Appell auch an Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

05. Juni 2012

   Dr. Bertrams                     Fessler                 Frenzen              Herkelmann-Mrowka
(VerfGH/OVG NRW)       (VG Gelsenkirchen)    (VG Minden)                (VG Köln)

   Dr. Heusch                     Koopmann          Prof. Dr. Limpens       Dr. Morgenstern
(VG Düsseldorf)               (VG Münster)           (VG Aachen)             (VG Arnsberg)